Wenn Ihr mich sucht,
sucht mich in Euren Herzen,
wenn Ihr mich dort findet,
dann lebe ich in Euch weiter.

 

 

 

 

Nerina

 

„Ein Traum auf vier Pfoten“ – so stand es in Deinem Vermittlungstext. Aber das war es nicht allein, was mich auf  Dich aufmerksam machte. Schwarz, älter, einäugig und leishmaniose-positiv, das war mein Beuteschema seit meiner türkischen Straßenhündin Lilly.

 

Bei Dir kam dann noch dazu, dass Du als Notfall galtest, da Du von der Umsetzung in ein staatliches Canile bedroht warst. Damit wärst Du letztlich in einer Verwahranstalt gelandet, endgültig ohne Liebe und Fürsorge, von Abwechslung und Ansprache gar nicht zu reden.

 

 

 

Ich nahm mir für Deine Eingewöhnung bei uns einen Zeitraum von sechs Wochen ohne längere berufliche Auswärts-Termine, da ich dachte: Ein zehn Jahre alter Hund, der noch nie in einem Haus gelebt hat, der zudem in seinen ersten Lebensjahren brutale Gewalt durch seinen Besitzer erfahren hat, braucht eine Weile, um sich in einer Familie und deren Alltag einzufinden – und vielleicht ein paar Probleme „auszupacken“.

 

 

 

Doch Du kamst und hast alles mitgemacht als sei das schon immer so gewesen. Zu allen warst Du freundlich – auch zu den Katzen – und von Anfang an hast Du versucht, alles richtig zu machen. Dass Du in Deinem ersten Lebensabschnitt bei einem Jäger viel Schlimmes hast erleben müssen, merkte man Dir gelegentlich an: Dann hast Du Dich auf den Boden geduckt, und Deine Rute schlug beschwichtigend. Wir konnten nur erahnen, was Dir geschehen sein musste …

 

 

 

Aber Du hast uns mit Deiner Fröhlichkeit gezeigt, dass Du Dich bei uns wohl fühlst. Schon eine Woche nach Deiner Ankunft wagten wir es, zu einem Urlaub in eine Ferienwohnung in den Bergen aufzubrechen. Deine Anpassungsfähigkeit und Deine Kondition schienen trotz Deines Alters unbegrenzt.

 

Ich hatte eine ruhige Hunde-Seniorin erwartet (die nebenbei bemerkt noch nie eine Anfrage erhalten hatte), adoptiert hatte ich eine lebenshungrige Dauerläuferin. Du hast uns gezeigt, wie das geht mit dem Im-Hier-und-Jetzt-Leben. Deine Nase immer am Boden, ständig wedelnd, so bist Du durch die Lande gezogen. Am liebsten waren Dir Wiesen. Da gab es die meisten Mauselöcher, deren Gänge Du unermüdlich aufgebuddelt hast. Dich von diesem Vorhaben wegzurufen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Da warst Du auf beiden Ohren taub.

 

Ansonsten aber bist Du nach drei Monaten an der Leine immer frei gelaufen, denn Du wusstest genau, wo Du hingehörst. Ich sehe Dich immer noch, wie Du mit Deinen langen wehenden Ohren auf mich zugerannt kamst, wenn ich Dich gerufen habe.

 

 

 

Ein gutes Jahr nach Deiner Ankunft entdeckte ich einen Knubbel an Deiner Brust. Als unsere Tierärztin mir das Ergebnis der Gewebe-Untersuchung mitteilte, zog es mir den Boden unter den Füßen weg: Mastzelltumor. Lebenserwartung: ein paar Wochen. Ich bekam die Handynummer meiner Tierärztin für den Fall, dass sich schon in den bevorstehenden Weihnachtstagen Dein Ende abzeichnen würde. Der Gedanke, dass wir Dir nur gut ein Jahr ein besseres Leben haben schenken können nach all den schlimmen Erfahrungen, die Du hattest machen müssen, brach mir fast das Herz. Aber Du alte Kämpferin dachtest gar nicht daran, an einem Mastzelltumor zu sterben. Meine Tierärztin stand vor einem Rätsel und meinte sogar später mal: „Nerina ist unsterblich!“

 

 

 

Wir sind viel gereist. Du warst von Anfang an der ideale Hotel-Hund! Niemals hast Du gebellt oder etwas kaputt gemacht. Wenn wir eingecheckt und das Zimmer bezogen hatten, breitete ich Deine Decke aus und Du legtest Dich drauf. So nach dem Motto: Aha, hier bleiben wir also.

 

 

 

Eines Tages liefst Du nur noch auf drei Beinen. Beim Anblick Deines Gangbildes schwante meiner Tierärztin sofort Übles: ein Kreuzbandriss. Sie überwies uns zum Spezialisten, der bei der Untersuchung gleich auch noch feststellte, dass am anderen Bein ein Kreuzbandriss unbehandelt geblieben und deshalb der Bewegungsablauf seit langem gestört war. Einen Hund mit elfeinhalb Jahren noch operieren? Der Chirurg rechnete mit insgesamt 2500 Euro und nannte die Prognose „vorsichtig gut“. Die Alternative? Herumdoktern und auf ausgiebige Spaziergänge verzichten.  

 

Die Operation verlief gut, und Du hast die 16 Wochen Reha-Maßnahmen tapfer durchgestanden. Danach konntest Du fast wieder so laufen, als sei nie etwas gewesen. Jeder Euro für Dich und Deinen Bewegungsdrang hat sich gelohnt! 

 

 

 

Denn mit Dir konnte man endlos lange wandern. Die längste Tour Deines Lebens – da warst Du schon 13! – war „Schachten und Filze“ im Bayerischen Wald. Sie geht über sechs bis sieben Stunden, und ich war etwas besorgt, ob Dir das nicht zu viel würde. Aber doch nicht für Nerina!

 

 

 

 

 

Du warst auf Rachel und Lusen, auf dem Darß und oft in den Alpen. Deine letzte Bergtour ging auf den Herzogstand, allerdings sind wir hinauf mit der Gondel gefahren. Du warst nun 14 Jahre alt und so allmählich spürte man, dass Deine Power etwas nachlässt. Aber dass ein 14jähriger Hund überhaupt noch im Gebirge unterwegs ist, hat manche erstaunt.

 

 

 

Im Mai 2020 wurde eher nebenbei ein großer Milztumor bei Dir festgestellt. Das war ein Schock für uns, und es war klar, dass das Ende unserer gemeinsamen Zeit nahe ist.

 

 

 

Gestern bist Du – Du „Traum auf vier Pfoten“ – für immer gegangen. Meine über alles geliebte Nerina, Du warst die zauberhafteste Hündin, die ich versorgen und lieb haben durfte! Für immer bleibt Deine wundervolle Seele in meinem Herzen und in meinen Gedanken! Ich bin unendlich dankbar für die vier Jahre und neun Monate, die Du Freude und Sonnenschein in mein Leben gebracht hast. Hoffentlich findest Du im Hundehimmel ganz viele Wiesen und Mauselöcher vor, in denen Du nach Herzenslust buddeln kannst.

 

 

 

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Bedanken möchte ich mich bei Nerinas Patin, die sie so lange unterstützt hat und nicht nur Knabberzeug geschickt hatte, sondern sogar ein schönes Hundebett. Dieses Bettchen gibt es noch immer.

 

 

 

 

 

 

 

 

Juli 2020